Was haben eine Sagensammlung der Gebrüder Grimm und die Straße zwischen Trebgast und Himmelkron gemeinsam?
Beide erinnern an die Weiße Frau der Plassenburg, eine der wohl bekanntesten Sagen unserer Region. So bekannt, dass sich die Geschichte in der Sammlung „Deutsche Sagen“ der Gebrüder Grimm befindet – neben allgemein bekannten Klassikern wie dem Rattenfänger von Hameln oder dem Freischütz. Kein Wunder eigentlich, schließlich spukt die Weiße Frau nicht nur auf der Plassenburg, sondern überall, wo das Herrschergeschlecht der Hohenzollern sich festgesetzt hat.
Die „vier Augen“, die im Weg standen
Zunächst die bekannteste Version der Geschichte: Die Gräfin von Orlamünde residierte in den 1330er-Jahren auf der Plassenburg, zusammen mit ihrem Gemahl, Graf Otto von Orlamünde. Der Graf schenkte ihr zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, doch er verschied kurz darauf. Die junge Witwe verzehrte sich nach neuer Lebensfreude, denn sie war schön und wilden Blutes.
Da geschah es, dass die Gräfin von Orlamünde in Bayreuth den Burggrafen Albrecht von Nürnberg sah – nicht umsonst „Albrecht der Schöne“ genannt. Das Herz der Gräfin entflammte. Sie schickte ihren Burgvogt nach Nürnberg. Er sollte Albrecht dem Schönen die Nachricht bringen, dass sich ihr Herz nach ihm verzehre. Der Burggraf kam mit einer Nachricht des Burggrafen zurück: Er könne sie nicht ehelichen, da „vier Augen“ im Wege stünden.
Die Gräfin auf der Plassenburg dachte, mit den vier Augen meine der Burggraf ihre beiden Kinder. Die Gräfin wälzte sich durch lange Nächte, hin- und hergeworfen zwischen ihrem Verlangen und dem Grauen vor der Tat, die nötig schien. Schließlich bedrängte sie ihren Burgvogt, die schreckliche Tat zu vollbringen. Sie gab ihm eine silberne Nadel aus ihrem Haar, der spitze Stahl sollte die vier Augen aus der Welt schaffen. Zum abendlichen Gebetsläuten waren die beiden Kindchen tot.
Auf den Knien von der Plassenburg herunter
Der Vogt bestieg sein Ross, ritt nach Nürnberg, dem Burggrafen die Botschaft vom Tod der Kinder zu bringen. Die Gräfin wartete wochenlang, schaute unablässig von der Burg in das weite Land hinaus. Schließlich kehrte der Vogt eines abends, als es schon dämmerte, auf seinem Ross zurück. Doch welch schreckliche Nachricht brachte er mit: Der Burggraf hatte mit den vier Augen, die im Weg stünden, keinesfalls die Kinder gemeint. Sondern seine Eltern, die einer solchen Vermählung nicht zustimmen wollten. Erschrocken von der grausamen Tat hatte der Burggraf nichts als Verachtung übrig für die Gräfin von der Plassenburg.
Die Gräfin legte sich schwere Buße auf. Manche erzählen, sie sei barfuß nach Rom zum Papst gepilgert, um Vergebung für ihre Sünde zu erbitten. Einig sind sich die Erzähler darin, dass sie am Ende von der Plassenburg auf den bloßen Knien in Richtung des Himmelkroner Klosters ging. Auf dem Weg verließen sie die Kräfte, sie sank auf dem steinigen Grund nieder. Einer anderen Variante nach hat der Papst der Gräfin ihre Sünden vergeben und auferlegt, in Himmelkron ein Kloster zu gründen.
Für die erste Variante spricht ein fast vergessenes Mal an der Straße zwischen Trebgast und Himmelkron. Dort steht ein steinernes Marterl neben einem steinernen Kreuz. Das Relief auf dem Marterl ist noch erkennbar – nur was genau es darstellen soll, weiß man nicht. Angeblich aber soll dieses Marterl den Ort kennzeichnen, an dem die Gräfin der Plassenburg auf ihrem Weg nach Himmelkron starb.
Die Weiße Frau erschrickt Napoleon in Bayreuth
Nach der Gräfin von Orlamünde übernahmen die Hohenzollern die Herrschaft auf der Plassenburg. Und so wurde aus der Gräfin nach ihrem Tod die Weiße Frau der Hohenzollern – das Gespenst, das die Angehörigen dieses Adelsgeschlechts gerne nächtens heimsucht, um einen Todesfall oder ein Unglück anzukündigen.
Übrigens: Auch das Neue Schloss in Bayreuth gehörte zu den Hohenzollern – und war damit das Gebiet der Weißen Frau. Als Napoleon im Frühjahr 1812 auf dem Weg nach Russland in Bayreuth nächtigte, soll die Weiße Frau den großen Feldherren gehörig erschreckt haben. Ob sie ihn vor seinem Russlandfeldzug warnen wollte? (Angeblich hat man später im Nachlass des Schlosskastellans ein langes weißes Frauenkleid entdeckt.)
Der historische Hintergrund
Wer steckt nun hinter der Gräfin von Orlamünde? Bei den Gebrüdern Grimm heißt sie Agnes – tatsächlich gab es eine Agnes von Orlamünde, die manche für die erste Äbtissin des Klosters Himmelkron halten. Weit geläufiger in den Erzählungen ist der Name Kunigunde von Orlamünde – sie war tatsächlich die letzte Herrscherin ihres Geschlechts auf der Plassenburg, bevor die Hohenzollern dort Einzug hielten. Sie soll wirklich das Kloster Himmelkron errichtet haben, in das sie später selbst eingetreten sein soll. Allerdings kann es gut sein, dass Kunigunde von Orlamünde ein Unrecht widerfahren ist, als sie in der Sage zur Kindsmörderin wurde. Historisch scheint dieser Teil der Geschichte sehr fragwürdig zu sein – wahrscheinlich war sie in Wirklichkeit sogar kinderlos.
Heimatforscher Helmut Hennig hat eine plausible Theorie für die Entstehung der Sage: Das Herrschergeschlecht Orlamünde hat die Plassenburg friedlich an die Hohenzollern übergeben, einem zuvor ausgehandelten Vertrag folgend. Da dieser Vertrag aber etwas kompliziert zu erklären war, habe sich das Volk eine andere Erklärung gesucht. Und sei bei der blutigen Geschichte gelandet – die den Herrscherwechsel nachvollziehbarer machte als ein bloßes Stück Papier.