Der Infoblog über Gundlitz

Damals: Ein Gundlitzer predigt in Amerika

Vie­le Men­schen in unse­rer Regi­on haben zumin­dest eine vage Vor­stel­lung davon, dass sie noch ent­fern­te Ver­wand­te in den USA haben. Die Ober­fran­ken such­ten vor allem im 19. Jahr­hun­dert ihr Glück in der Neu­en Welt. Auch aus Gund­litz sind zahl­rei­che Aus­wan­de­rer doku­men­tiert – wie vie­le es genau waren, dürf­te unbe­kannt sein. 

Von einem Gund­lit­zer aber liegt ein aus­führ­li­che­res Doku­ment vor. Jakob Fried­rich Oer­tel war ein evan­ge­li­scher Pfar­rer, der kurz vor 1900 in die USA aus­wan­der­te. Sei­ne Hei­mat hat­te er dabei nicht ver­ges­sen – und er kehr­te noch ein­mal zurück. Doch dazu spä­ter mehr.

Der ers­te his­to­risch ver­bürg­te Aus­tausch zwi­schen unse­rer Regi­on und Ame­ri­ka fand wäh­rend des Ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­krie­ges statt, der von 1775 bis 1783 dau­er­te. Unse­re Hei­mat gehör­te zum Mark­graf­t­um Bran­den­burg-Ans­bach-Bay­reuth. Der dama­li­ge Mark­graf Chris­ti­an Fried­rich Carl Alex­an­der hat­te ein Pro­blem: Sein Mark­graf­t­um war hoch ver­schul­det. Das war unter ande­rem der vor­he­ri­gen Mark­grä­fin Wil­hel­mi­ne geschul­det, die eine Vor­lie­be für Pracht­bau­ten hat­te. Ihr ver­dan­ken wir vie­les von dem, was Bay­reuth noch heu­te beliebt macht: etwa das Mark­gräf­li­che Opern­haus, die Ere­mi­ta­ge, das Neue Schloss. Doch das hat­te eine Schattenseite.

Mark­graf Chris­ti­an Fried­rich Carl Alex­an­der brauch­te also Geld. Das bekam er unter ande­rem, indem er einen Ver­trag mit dem dama­li­gen König von Eng­land, Georg III., abschloss. Er ver­sprach dem eng­li­schen König dar­in rund 2.500 Sol­da­ten, die im Unab­hän­gig­keits­krieg gegen die ame­ri­ka­ni­schen Rebel­len kämp­fen muss­ten. Also muss­ten wehr­tüch­ti­ge Män­ner aus unse­rer Hei­mat­re­gi­on für die bri­ti­sche Kro­ne in Ame­ri­ka kämpfen.

In den fol­gen­den Jahr­zehn­ten, nach Napo­le­on und dem Wie­ner Kon­gress, ver­schlech­ter­ten sich die Lebens­be­din­gun­gen auf dem Land. Das lag wohl unter ande­rem an der ein­set­zen­den Indus­tria­li­sie­rung, die den Hand­we­bern das Leben schwer mach­te. Indus­tri­ell gefer­tig­te Waren scha­de­ten auch den Hand­wer­kern. Und wer weder erben konn­te noch ein Hand­werk erler­nen, der konn­te nur als Knecht oder Magd sein Geld verdienen.

Ver­arm­te Land­be­woh­ner ström­ten vor allem in den 1850er-Jah­ren nach Ame­ri­ka, davor und danach gab es wei­te­re Wel­len. Bis 1848 die Eisen­bahn kam, gin­gen die Aus­wan­de­rer noch zu Fuß nach Ham­burg oder Bre­men, um zu ihrem Schiff zu gelangen.

Doch die wirt­schaft­li­che Not war wohl nicht der ein­zi­ge Antrieb der Aus­wan­de­rer. Wie der Hei­mat­for­scher Hel­mut Hen­nig fest­ge­stellt hat, wur­de damals in den Zei­tun­gen – wie etwa dem „König­lich Baye­ri­schen Intel­li­genz­blatt für Ober­fran­ken“ – mas­siv für die Aus­wan­de­rung nach Ame­ri­ka gewor­ben; eini­ge schei­nen also gut dar­an ver­dient zu haben.

Ein Gund­lit­zer Aus­wan­de­rer, zu dem eine etwas aus­führ­li­che­re Quel­le vor­liegt, hat erst nach den gro­ßen Aus­wan­de­rungs­wel­len die Neue Welt betre­ten. Wel­chen Grund er für die Aus­wan­de­rung hat­te, wis­sen wir nicht. Der aus Gund­litz stam­men­de, 1871 gebo­re­ne evan­ge­li­sche Pfar­rer Jakob Fried­rich Oer­tel fand sei­ne beruf­li­che Wir­kungs­stät­te in den USA. Es gibt einen eng­lisch­spra­chi­gen Nach­ruf, der den Wer­de­gang von Pfar­rer Oer­tel zusam­men­fasst. Er ist ver­mut­lich in der Kir­chen­zei­tung sei­ner Hei­mat­pfar­rei in Ame­ri­ka kurz nach sei­nem Tod erschienen.

In dem Nach­ruf heißt es: Jakob Fried­rich Oer­tel kam am 13. Dezem­ber 1871 in Gund­litz auf die Welt. Er wuchs in einer Bau­ern­fa­mi­lie auf. Im August 1895, als Oer­tel 23 Jah­re alt war, hat er sei­ne Aus­bil­dung zum evan­ge­li­schen Pfar­rer ange­tre­ten – in einer Klein­stadt im US-Bun­des­staat Min­ne­so­ta. War­um genau er nach Ame­ri­ka ging, erklärt der Arti­kel nicht. 

Er arbei­te­te dar­auf­hin als Mis­sio­nar an meh­re­ren Orten im Bun­des­staat Washing­ton. Er habe sei­ne Arbeit dort gewis­sen­haft aus­ge­führt, heißt es in dem Nach­ruf, und die Lie­be und den Respekt der Men­schen gewon­nen. Doch schein­bar bekam er Heimweh.

Oer­tel bat sei­ne Gemein­de in Washing­ton im Jahr 1906 dar­um, von sei­nem Amt frei­ge­stellt zu wer­den. Er woll­te sei­ne alten Eltern in der Hei­mat besu­chen. Die Gemein­de erfüll­te ihm den Wunsch, wenn sie ihn auch nur „schwe­ren Her­zens“ gehen ließ, wie es in dem Nach­ruf heißt. Er nahm die lan­ge Schiffs­rei­se in die Hei­mat, zu sei­nen Eltern auf sich. Über die Erleb­nis­se zurück in der Hei­mat steht nichts in dem Nachruf.

Der Pfar­rer kehr­te im Sep­tem­ber 1906 zurück nach Ame­ri­ka. Er bekam eine neue Gemein­de zuge­wie­sen, wie­der in einem klei­nen Ort im Bun­des­staat Washing­ton. Am 28. Okto­ber 1906 hielt er dort sei­ne Antritts-Pre­digt. Es war sei­ne letz­te Pre­digt. In der fol­gen­den Woche brach der Typhus bei ihm aus.

Am 2. Dezem­ber 1906 emp­fing er noch ein­mal die Kom­mu­ni­on, am 8. Dezem­ber erlag er der Krank­heit. Er hin­ter­ließ eine Frau und drei Kin­der, sie waren 9, 6 und 2 Jah­re alt.

Der Gund­lit­zer Pfar­rer scheint das Herz sei­ner Gemein­de gewon­nen zu haben, obwohl er nur kurz dort war. Im Nach­ruf heißt es: „Es ist anzu­mer­ken, dass die Gemein­de von Fair­field ein vor­bild­li­ches Ver­hal­ten an den Tag leg­te wäh­rend der Krank­heit und des Todes ihres neu­en Pfar­rers. Die Men­schen haben die Fami­lie nicht nur mit lie­be­vol­lem Mit­ge­fühl unter­stützt, son­dern auch frei­wil­lig alle Kos­ten für die Krank­heit und das Begräb­nis übernommen.“

Pfar­rer Jakob Fried­rich Oer­tel wur­de am Nach­mit­tag des 10. Dezem­ber 1906, einem Mon­tag, beerdigt.

Offen­bar war Oer­tel nicht der ein­zi­ge deut­sche Pfar­rer in der Gemein­de; im Nach­ruf heißt es, dass einer der Pfar­rer bei der Beer­di­gung eine deut­sche Pre­digt hielt. Im Nach­ruf steht auch, um wel­che Bibel­stel­le sich die deut­sche Pre­digt dreh­te: Gene­sis 48,21.

Dar­in sagt Jakob, als er im frem­den Ägyp­ten stirbt, zu sei­nem Sohn Josef: „Sieh, ich ster­be nun. Gott wird mit euch sein und euch in das Land eurer Väter zurückbringen.“

Quel­len:

Karl Walt­her, „Stamm­ba­cher in der Neu­en Welt“. Erschie­nen in: Stamm­ba­cher Lese­buch. Geschich­ten und Geschicht­li­ches. Teil 1. (1999)

Hel­mut Hen­nig, Geschich­te Stamm­bachs von den Anfän­gen bis zur Reichs­grün­dung. (1989)